Yvonne Zahr-Kollenz und Claudia Prassler teilen sich seit über einem Jahr eine Führungsrolle in der BMW-Bank. Die beiden leiten den Bereich Operationelle Risiken und arbeiten jeweils 80 Prozent, was einer 32-Stunden-Woche entspricht. Im Interview mit Business Insider verraten sie, dass geteilte Führung viele Vorteile mit sich bringe, sowohl für sie selbst als auch für das Unternehmen. Zahr-Kollenz und Prassler profitieren von der Flexibilität sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die BMW-Bank profitiere von ihrer ständigen Verfügbarkeit und „besseren Ergebnissen“.
„Der erste Vorteil vom Tandem: Man kann sich in Interviews perfekt ergänzen“, sagt Yvonne Zahr-Kollenz und lächelt dabei ihrer Kollegin Claudia Prassler zu. Die beiden Frauen sind dem Interview via Teams dazugeschaltet, sitzen dicht nebeneinander und ergänzen den Gedankengang der anderen tatsächlich mehr als einmal. Wohl Übungssache: Immerhin teilen sie sich seit über einem Jahr eine Führungsrolle in der BMW-Bank. Sie leiten den Bereich Operationelle Risiken mit 17 Mitarbeitenden unter sich. Wieso die beiden sich für das Modell der geteilten Führung entschieden haben, wie das konkret im Arbeitsalltag funktioniert und was andere von ihnen lernen können.
Geteilte Führung: Teilzeit ohne Karriereeinschränkungen
Seit dem 01.01.2023 teilen sich die 37-jährige Yvonne Zahr-Kollenz und die 41-jährige Claudia Prassler eine Führungsrolle in der BMW-Bank. Hier sind sie für die Operationellen Risiken zuständig. „Wir untersuchen und bewerten potenzielle Risiken, die für das Geschäft der BMW-Bank relevant sind und leiten daraus zusammen mit unseren Kollegen Optimierungen für die Zukunft ab“, fasst Prassler ihren Job zusammen. Sie selbst arbeitete bereits vor Antritt der geteilten Führungsrolle in diesem Bereich. Zahr-Kollenz war zwar auch schon im Risikobereich tätig gewesen, allerdings im Kreditrisikobereich. Danach hatte sie verschiedene andere Rollen inne – etwa die Leitung in der Kunden- und Vertriebsanalyse. Dann ging sie in Elternzeit.
Zahr-Kollenz erinnert sich: „Kurz vor meiner Elternzeit habe ich hochschwanger Claudia auf dem Gang getroffen. Sie meinte, ich solle mich bei ihr melden, wenn ich plane, wiederzukommen.“ Claudia Prassler, die selbst zwei kleine Kinder zu Hause hat, wusste schon lange von der Möglichkeit, sich eine Führungsrolle zu teilen. Zudem wuchs in ihr der Wunsch, selbst etwas kürzerzutreten. Sie wollte nicht länger Vollzeit arbeiten und ihren Mann entlasten, der bislang weniger gearbeitet hatte, um sich um die Kinder zu kümmern. Als sie überlegte, mit wem sie sich eine Führungsrolle teilen könnte, sei ihr sofort Yvonne Zahr-Kollenz in den Sinn gekommen. Die beiden kennen sich mittlerweile seit über zehn Jahren und arbeiteten bereits zuvor in einem gleichen Bereich.
Für Zahr-Kollenz sei klar gewesen, dass sie bei ihrer Rückkehr nach ihrer Elternzeit nur in Teilzeit arbeiten möchte, um Privat- und Berufsleben miteinander vereinen zu können. Zumal sie und ihr Mann privat wenig Unterstützung bei der Kinderbetreuung haben. Dennoch habe sie in ihrer Karriere keine Rückschritte machen und als Führungskraft unbedingt weiter Erfahrungen sammeln wollen. „Joint Leadership bot mir die Möglichkeit, beides zu vereinbaren“, so Zahr-Kollenz. Und so meldete sie sich kurz vor Ende ihrer Elternzeit tatsächlich bei Prassler. Beide gingen zu ihrem heutigen Chef und machten den Vorschlag, sich eine Führungsrolle zu teilen. „Unser Vorschlag hat direkt Anklang gefunden und wir haben sehr viel Unterstützung von unserem Chef sowie der Personalabteilung erfahren.“
50 Tandems in der BMW AG
Die Möglichkeit, dass sich zwei disziplinarische Führungskräfte eine Aufgabe teilen, gebe es in der BMW AG schon seit einigen Jahren. Inzwischen gebe es 50 Tandems – weibliche, gemischte, aber auch ausschließlich männliche. In der BMW-Bank selbst sind Prassler und Zahr-Kollenz jedoch erst das zweite Tandem. In diesem Modell arbeiten beide je 80 Prozent, was einer 32-Stunden-Woche entspricht. Beide haben je einen langen Tag in der Woche: Prassler bleibe meist zu Beginn der Woche lange da, Zahr-Kollenz meist zum Ende der Woche. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag gestalten sie insbesondere nachmittags flexibel, seien aber, falls nötig, auch an diesen Tagen lange erreichbar. Zahr-Kollenz sagt: „Wir haben uns fachlich aufgeteilt, abhängig vom jeweiligen Background und Erfahrungsschatz.“ Ihre Mitarbeitenden wüssten dabei genau, wer bei welchem Thema die richtige Ansprechpartnerin ist. „Wir können uns aber jederzeit vollwertig vertreten“, ergänzt sie. Das ist laut Prassler vor allem dann wichtig, wenn eine beispielsweise mal ausfällt oder ein Kind krank ist. Sie sagt: „Das gelingt nur, weil wir uns jeden Morgen zusammensetzen und alle aktuellen Themen durchgehen.“ An manchen Tagen reiche das nicht. „Dann telefonieren wir auch nochmal abends miteinander.“ Eine gute Abstimmung sei essenziell, sodass jede jederzeit über die Themen der anderen informiert ist. Zudem setzen die beiden auf offene Kalender und gemeinsame Ordnerstrukturen.
Unser „Trick“: Bei uns beiden stimmt die Chemie
Geteilte Führung gelinge bei den beiden allerdings nicht nur aufgrund organisatorischer Kniffe, das habe vor allem menschliche Gründe. Zahr-Kollenz sagt: „Der ‚Trick‘, warum geteilte Führung bei uns gelingt, ist, dass bei uns die Chemie stimmt und wir gut miteinander harmonieren“. Wenn die beiden auch viel unterschiedliche Expertise mitbringen, hätten sie die gleichen Werte und Normen. Auf dieser Basis könnten sie alles Weitere aufbauen. „Wir sind beide Teamplayer, das müssen wir auch sein. Ellenbogenmentalität wäre in der Doppelspitze fehl am Platz.“ Diskutieren die beiden, dann immer auf Augenhöhe, versichert Zahr-Kollenz weiter. Auch Prassler versichert: „Wir vertrauen einander ohne Einschränkungen.“ In ihren Fokusthemen und in der Vertretung treffen die beiden Entscheidungen eigenständig, die andere gehe mit. Bisher habe es noch keine Entscheidung gegeben, bei der sie unterschiedlicher Ansicht gewesen wären. Das ist ihnen wichtig, auch um ihre Mitarbeitenden nicht mit unterschiedlichen Aussagen zu verunsichern.
Bei großen und wichtigen Entscheidungen setzen die beiden sich zusammen. Das sei zunächst eine Veränderung gewesen. „Allein zu entscheiden, geht meist viel schneller“, so Prassler. Allerdings betont sie auch, dass sie bei der Themenabstimmung oft von den Ideen von Zahr-Kollenz profitiere. „Mehr als einmal dachte ich mir: Auf die Lösung wäre ich allein gar nicht gekommen.“ Die beiden haben je eine Sparringspartnerin bei vielen Themen, bekämen fachlich neue Komponenten dazu und haben immer jemanden, mit dem sie schwierige Fragen besprechen können. Prassler ist sich sicher: „Unternehmen können insgesamt davon nur profitieren, da sich so am Ende das beste Ergebnis aus beiden Sichtweisen ergibt.“ Weiter würden Unternehmen auch in Sachen Verfügbarkeit profitieren: „Wir sind nie gemeinsam im Urlaub und eine ist immer ansprechbar für unseren Chef oder die Mitarbeitenden. Bei uns bleiben keine Themen liegen“, so Prassler. Zahr-Kollenz sagt, dass die Möglichkeit der geteilten Führung sich für sie nach Wertschätzung anfühle und extrem wichtig für die Diversität in einem Unternehmen sei. Dabei nütze das Modell nicht nur Frauen, die Kinder und Beruf unter einen Hut bekommen wollen. Es nütze ebenso Männern und all jenen, die in einer Lebensphase nicht Vollzeit arbeiten können oder wollen. „Sei es die Pflege Angehöriger, ein Studium nebenher, Kinder“, so Prassler.
Was andere Unternehmen lernen können: „Man darf nichts erzwingen“
Wollen andere Unternehmen ebenfalls Modelle der geteilten Führung anbieten, sollten sie laut Prassler nur Tandems mit Menschen besetzen, die sich bereits kennenlernen konnten. „Man darf nichts erzwingen“, so Prassler. Natürlich könne es gutgehen, wenn man Fremde als Tandem aufstellt, aber die Wahrscheinlichkeit für Konflikte sei ungemein höher. Menschen, die zusammen führen wollen, sollten also als Team gut funktionieren. Zahr-Kollenz ergänzt, dass auch man selbst für geteilte Führung gemacht sein müsse. Sie sagt: „Wer Anerkennung und Entscheidungen nicht gerne teilt, ist in diesem Konstrukt falsch.“ Zuletzt müsse ein Unternehmen, das geteilte Führung anbietet, auch genügend Information und Kommunikation dafür bereitstellen. Meint: Mitarbeitende müssen davon erfahren, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt. Und Unternehmen müssen verstehen, inwiefern sie davon profitieren können. Dafür wollen Zahr-Kollenz und Prassler sorgen. Viele Kolleg*innen würden sie bereits auf ihre geteilte Führungsrolle ansprechen und ihnen positives Feedback geben. „Wir zeigen, dass geteilte Führung funktionieren kann“, schließt Prassler.